‚Viktor ist ein wunderschöner Roman über zwei Generationen innerhalb derselben jüdischen Familie, in dem sich die Hauptfigur Geertje auf die Suche nach der Wahrheit über Viktor Rosenbaum, den rätselhaften Bruder ihres Großvaters, macht. Zwei Handlungsstränge wechseln sich ab und der Leser erhält Einblicke in das Leben der Rosenbaums in Wien kurz vor dem Zweiten Weltkrieg und das von Geertje am Ende des 20. Jahrhunderts.
Viktor hat alles, was ein guter Roman braucht: eine wohlhabende Familie, ein schwarzes Schaf, Krieg und jede Menge Wendungen. Aber auch stilistisch stimmt alles: eine straffe Struktur, die Suche nach der eigenen Identität als Leitmotiv und ein schöner Erzählstil.

Fanto beherrscht die niederländische Sprache bis ins Detail, versteht es, Dialoge aufzubauen, verwendet einen glatten Erzählstil, der das Schreiben mühelos erscheinen lässt, und schrieb einen Roman über den Zweiten Weltkrieg, ohne allen existierenden Romanen zu ähneln. Sie zieht das Jüdische der Vergangenheit auf das Jüdische von heute und zeigt, wie die Erfahrungen von Jahrzehnten früher noch auf eine Familie wirken. Sie tut dies mit durchdachten Konstruktionen, wie der Spiegelung der beiden Handlungsstränge. Wenn in Wien nichts los ist, wächst Geertje/Judith heran, belastet von der Schuld einer anderen Generation. Wenn es in Wien kritisch wird und Jüdischsein etwas Schreckliches bedeutet, findet sich Judith im Judentum wieder und wird stark, indem sie es umarmt.

Fanto hat einen angenehm lesbaren Stil, scheut aber auch einen etwas komplizierten Satzbau und Wortwahl nicht und hat ein Auge für pointierte Beobachtungen und einen kühlen Humor, der manchmal die harte Realität erträglicher macht und die Geschichte erhellt. Dazu tragen aber auch die Charaktere bei: Sie sind intelligent, einzigartig, witzig. Die Hauptfiguren tragen die Geschichte, mit allen Nebenfiguren als nette Ergänzung. Die Schichtung der Geschichte und das Erwachen der verschiedenen Charaktere (in nur wenigen Federstrichen) sind erfrischend und angenehm. Fanto schafft mit Viktor einen sehr vollständigen, runden und beeindruckenden Charakter (basierend auf einem Mann, der tatsächlich lebte). Schön sind auch die Parallelen zwischen Viktor und Geertje, sowohl Außenseiter als auch Einzelgänger innerhalb ihrer Familie.

Besonders interessant sind die Fragen, die Fanto aufwirft, ohne das Unmögliche zu beantworten, wie etwa die Leidenshierarchie unter der Shoah. Sie besteht auch nicht darauf, so dass der Leser das Buch eine Weile aus der Hand legt und natürlich tiefer darüber nachdenkt. Ein Buch, das zu interessanten Diskussionen führen kann und gleichzeitig ein sehr angenehmes Leseerlebnis bietet. Abgesehen von der Story, Fantos Schreibstil, die Qualität, die man schon im ersten Satz erkennt, ihre Konstruktion einer Szene, die Form dieses Romans, die definitiv Lust auf mehr macht. Ein wunderbarer Erstlingsroman, so die Jury. Judith Fanto gewinnt mit Viktor hochverdient den Hebban Debut Prize 2020.